Die unterbrochene Spur – am Bodensee... (1995)

(Aus einem Flugblatt des Seemuseums Kreuzlingen)

Der Filmemacher verfolgt eine Spur der Schweizer Geschichte - jene der politischen Emigration und dem Widerstand während der Zeit des italienischen Faschismus und des Nationalsozialismus. Der Film zeigt die Schicksale von in die Schweiz geflüchteten Hitlergegnern, die von unserem Land aus versuchten, den Widerstand in Deutschland zu unterstützen, und er handelt von mutigen Schweizern, die die oft illegal in der Schweiz lebenden Emigranten beherbergten und ihre Widerstandsaktionen unterstützten - eine andere Seite der Schweizer Geschichte, als wie sie aus den Büchern kennen.

Eine der Schlüsselgeschichten dieses Dokumentarfilms spielt sich rund um Kreuzlingen ab: eine Frankfurter Exilgruppe in St. Gallen verfaßte von 1933 bis 1938 in Deutschland verbotene Schriften, die in Form von Mikrofilmen über eine Verbindungslinie Kreuzlingen-Konstanz in den hessischen Raum gebracht und dort von Widerstandsleuten fotografisch vervielfältigt und verteilt worden ist.

Einer dieser Verteiler, der Frankfurter Paul Nusch, schildert, wie er vom Kreuzlinger Metallarbeiter Ernst Bärtschi im Faltboot in die Schweiz gerettet wurde. Bärtschi hat wie andere Arbeiter im Bodenseeraum - unter ihnen Hans Lutz, Andreas Fleig und viele namenlose - regelmäßig als Kurier und Fluchthelfer den deutschen Widerstand unterstützt.

(Aus einem Gespräch mit Mathias Knauer:)

Wie sind Sie auf diese Bodensee-Geschichten gestoßen?
Knauer: Ich bin seit meiner Kindheit mit der Gegend verbunden. Ich war als Kind unmittelbar nach dem Krieg regelmäßig bei meinen Großeltern in Steckborn in den Ferien, und ich erinnere mich, wie wir am See Grenzwächter gespielt haben.

Als ich bei meinen Recherchen auf die Spur des Frankfurter Gewerkschafters Paul Nusch stieß, der 1936 über Konstanz in die Schweiz flüchten konnte, hat mich das natürlich besonders interessiert. Ich fand seinen damaligen Fluchthelfer, den Kreuzlinger Arbeiter Ernst Bärtschi. 1938 ist er von der Gestapo in Konstanz verhaftet und dann vom Berliner »Volksgericht« eingekerkert worden. Erst nach Kriegsende wurde er von den Aliierten befreit und kam krank wieder in die Schweiz zurück - ich würde sagen: als gebrochener Mann, der nie wieder richtig Fuß fassen konnte.

So wie Ernst Bärtschi haben unzählige anonym gebliebene Helfer an den Schweizer Grenzen ihr Leben riskiert, ohne je deswegen gerühmt worden zu sein. Das war ein Motiv für meinen Film, mit dem wir diesen Antifaschisten in gewisser Weise auch ein Denkmal setzen wollten. Doch nicht, indem wir sie in unserem Film auf ein Podest erheben, sondern indem wir die geschichtliche Bedeutung ihrer mutigen Einzelaktionen verdeutlicht haben.

Vergessen wir aber dabei nicht die deutschen Hitlergegner: etwa den Kunstmaler Otto Markwardt in Allensbach, der von seinem Haus am See aus viele Flüchtlinge in die Schweiz gerudert hat.
Ich meine, sie haben - wie die Konstanzer Lehrerin Gutjahr, die den Kontakt von Nusch zu Bärtschi herstellte - noch viel mehr riskiert, und manche endeten wie Pauline Gutjahr in einem deutschen KZ...

Die Ausstellung »Krieg und Kriegsende am Bodensee« des Seemuseums Kreuzlingen hat mir sehr gut gefallen: sie vergegenwärtigt mir mit vielen authentischen Bildern und sprechenden Dokumenten lebhaft die Zeit, die ich vor bald zwanzig Jahren für unseren Film erforscht habe. Sie öffnet einen lebendigen Blick auf Geschichte aus der Perspektive des alltäglichen Lebens, so wie wir das vor einem Jahrzehnt mit unserem Film und dem gleichnamigen Buch unternommen haben.